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11.01.2024

Abkopplung von China für deutsche Wirtschaft teuer, aber zu überstehen

Bei einem abrupten Handelsstopp mit China würde Deutschlands Wirtschaft um rund 5 Prozent einbrechen. Der Schock ist vergleichbar mit dem nach der Finanzkrise oder der Corona-Krise. Das ergeben Simulationsrechnungen unter Federführung des IfW Kiel. Mittel- bis langfristig pendelt sich der Verlust auf jährlich rund 1,5 Prozent ein. Bei einem schrittweisen, behutsamen Zurückfahren der Handelsbeziehungen würden die hohen Anfangskosten vermieden.

„Der Handel mit China bringt uns Wohlstand und ist kurzfristig praktisch nicht zu ersetzen. Ein Bruch hätte hohe Kosten für Deutschland, dennoch besitzt unser Land gesamtwirtschaftlich genug Widerstandskraft, um selbst solch ein extremes Szenario zu überstehen“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Anlass ist die Vorstellung einer neuen Analyse eines internationalen Forschungsteams unter Federführung des IfW Kiel. 

Methodisch orientieren sich die Berechnungen an der vieldiskutierten Studie zur Abkoppelung Deutschlands von russischem Gas, auf deren Grundlage einige der Autoren frühzeitig vorausgesagt hatten, dass diese handhabbar sein würde.

 

Verfeindete Handelsblöcke: Wohlstandsverlust von bis zu 5 Prozent

In der aktuellen Analyse modelliert die Forschungsgruppe einen Zerfall der Weltwirtschaft in verfeindete Handelsblöcke. Dabei stehen sich die Europäische Union samt USA und G7-Staaten auf der einen und China mit seinen Verbündeten, insbesondere Russland, auf der anderen Seite gegenüber. Alle direkten Handelsbeziehungen zwischen den beiden Blöcken werden gekappt. Außerdem gibt es noch eine Gruppe neutraler Staaten, etwa Brasilien, Indonesien oder die Türkei, mit denen beide Blöcke weiterhin Handel treiben.

Ein solcher Zerfall hätte für Deutschland erhebliche Wohlstandsverluste zur Folge, wenn er abrupt eintritt und das Land unvorbereitet trifft (Cold-Turkey-Szenario, übersetzt: kalter Entzug). Deutschlands Wirtschaftsleistung bricht den Berechnungen zufolge dann im ersten Jahr um bis zu 5 Prozent ein.

Mittel- bis langfristig, also nach 4 bis 5 Jahren, wenn sich die deutsche Wirtschaft auf die neue Realität eingestellt und alternative Handelsbeziehungen innerhalb ihrer Verbündeten und mit neutralen Staaten organisiert hat, liegt der Wohlstandsverlust dauerhaft bei rund 1,5 Prozent jährlich.

 

Bestehende Handelsverbindungen mit China können nicht ad hoc kompensiert werden

Verursacht werden die hohen Kosten für Deutschland also vor allem durch die kurzfristigen Auswirkungen eines plötzlichen Handelsabbruchs, weil bestehende Handelsverbindungen mit China ad hoc nicht kompensiert werden können.

Die Autoren vergleichen den Handelsschock mit einem Szenario, bei dem die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen weiter unverändert intakt sind.

„Die deutsche Politik hat sich bei der Frage, ob sich Deutschland einen Lieferstopp russischer Energie leisten kann, von Interessengruppen mit überzogenen Warnungen verunsichern lassen. Unsere aktuellen Berechnungen sollen der Politik im Umgang mit China wissenschaftliche Fakten als Entscheidungsgrundlage liefern, wenn es etwa um die Frage geht, mit welchen ökonomischen Maßnahmen Deutschland oder die EU etwa auf eine Invasion Chinas in Taiwan reagieren soll oder kann“, so Schularick.

Ein schrittweises, behutsames Zurückfahren der Handelsbeziehungen zwischen den westlichen Alliierten und China samt seinen Verbündeten bis hin zum Handelsstopp nach 3 Jahren hätte auf lange Sicht denselben Wohlstandsverlust wie der abrupte Handelsabbruch zur Folge, jährlich rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung (Gradual-Decoupling-Szenario). Der starke Wirtschaftseinbruch in den ersten Monaten und Jahren würde aber vermieden, stattdessen entstünde der Wohlstandsverlust sukzessive.

Ein sogenanntes De-Risking-Szenario, in dem sich die deutsche Wirtschaft nur teilweise von China löst, grundsätzlich aber die Handelsbeziehungen aufrechterhält, würde mittel- bis langfristig Wohlstandseinbußen von jährlich rund einem halben Prozent nach sich ziehen.

In Zwischenszenarien, bei denen die Handelsbeziehungen zwar abrupt enden, Deutschland sich aber vorher in Teilen von China entkoppelt hat, fällt die Wirtschaft auf den Pfad des Cold-Turkey-Szenarios zurück und folgt dann dessen Anpassungspfad zum langfristigen Wohlstandsverlust von rund 1,5 Prozent. Der Einbruch nach dem Handelsschock ist dann also weit weniger stark als im Ursprungsszenario.

In allen simulierten Szenarien sind die Kosten für China in Relation zur Wirtschaftskraft deutlich, nämlich um rund 60 Prozent, höher als für Deutschland.

 

Entkopplung von China politische Entscheidung

„Jede Entkopplung der deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen ist für Deutschland mit Kosten verbunden. Die vergleichsweise geringen Kosten einer teilweisen Entkopplung, oder Entkopplung nur in bestimmten Sektoren, können als Versicherungsprämie gegen einen schmerzhaften Wirtschaftseinbruch verstanden werden, der eintritt, wenn die Verflechtung eng bleibt und abrupt endet“, so Julian Hinz, Handelsforscher und Forschungsdirektor am IfW Kiel und federführender Autor der Studie.

„Ob und wie stark sich Deutschland vom Handel mit China lösen will, ist eine politische Entscheidung. Sie ist vor allem mit der Frage verbunden, ob die geoökonomische Verhandlungsposition des Westens bzw. Deutschlands durch enge Handelsverbindungen mit China gestärkt oder geschwächt wird.“

Die Autoren betonen in ihrem Papier eine Reihe von Einschränkungen, die der Natur von Modellrechnungen innewohnen. Die wichtigste ist, dass das Ergebnis entscheidend von der Annahme beeinflusst wird, wie schnell Deutschland neue Handelsverbindungen organisieren kann, wenn die alten enden, also wie groß, ökonomisch gesprochen, die sogenannte Handelselastizität ist. Die Autoren orientieren sich hier an der jüngsten Literatur und verwenden die Elastizitäten eher konservativ, kalkulieren die Kosten also am oberen Ende der Skala.

Außerdem erfassen die Modellrechnungen nicht alle konjunkturellen Verstärkungseffekte. Die Autoren betonen aber, dass dies an den grundsätzlichen Schlussfolgerungen der Studie nichts ändert.

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